Da bin ich

Sie rascheln, triefen, ich höre, wie sie durch die Luft rauschen. Dann klatschen sie auf meinen Rücken. Birkenzweige, warm und feucht und weich. Der Saunameister gießt Wasser auf die Steine, es verdampft zischend.

Einatmen, ausatmen.

Wann kommt man an? Wenn man aus dem Zug steigt? Den Schlüssel im Schloss dreht? Den ersten Kaffee trinkt? Ist es das erste Gespräch, das erste Lächeln, der erste Kuss? Wenn der Kopf frei ist. Zwei Wochen bin ich jetzt in Tartu. Gedanklich steckte ich woanders. In Texten, die in Island und München spielen, geschrieben werden sollten, fertiggeschrieben.

Ein Schweißtropfen läuft mir übers Gesicht. In der Sauna riecht es nach Kräutern. Mit einem Rauschen klatschen die Birkenzweige erneut auf meinen Rücken. Der Saunameister summt eine Melodie, ansonsten ist es still. Das Gefühl für Zeit habe ich verloren.

Die Kälte des Emajõgi holt mich zurück, schnürt mir die Luft ab. Emajõgi heißt übersetzt Mutterfluss, er ist der längste Fluss Estlands, verbindet Tartu mit dem Peipussee. Der Ostteil des Sees gehört zu Russland. Krieg, Frieden, gecancelte Flüge, plötzlich ist alles ganz nah.

Vier Monate werde ich in Estlands zweitgrößter Stadt leben. Was mich erwartet? „Tartu“, schrieb Juhan Smuul 1959, „ist eine kluge, junge Stadt, eine Stadt der Jugend. Aber der Baum des Verstandes trieb dort ein parasitäres Reis – nirgends wird soviel klug geredet wie in Tartu. Dort wird nicht nur gelehrt, das Wort zu beherrschen, sondern es auch zu verstümmeln. Dort werden mehr als anderswo unnütze Diskussionen geführt, bei denen die schöne estnische Sprache in ihrer ganzen Großartigkeit einen toten Raum überwinden muss. Und diese rein scholastische Eigenschaft gräbt in das schöne Gesicht Tartus einige überflüssige Runzeln. Dennoch ist auch Tartu wie Tallinn gut und sympathisch.“

Gerade ist alles aufregend und neu und laut und viel. Tausend Ideen in meinem Kopf. Dabei war schon der Weg nach Tartu ungewöhnlich. Aber dazu mehr im nächsten Post.

Haben Sie Tipps, Hinweise, Wünsche, welchem Thema ich nachgehen könnte? Schreiben Sie’s in die Kommentare.

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* Das Zitat stammt aus dem 1959 erschienenen Buch „Jäine raamat“ („Das Eisbuch“) des estnischen Schriftstellers Juhan Smuul (1922–1971). Smuul beschreibt darin seine Reise auf einem Expeditionsschiff in die Antarktis. Ein Privileg. Smuul – viele Jahre Vorsitzender des estnischen Schriftstellerverbands – war aufgrund seiner humoristischen Bücher, Theaterstücke und Filme bekannt. Im vergangenen Jahr kam heraus, dass er im März 1949 an Deportationen von Esten nach Sibirien beteiligt war, im Februar wurde unter einem Relief, das ihn zeigt, ein entsprechender Hinweis angebracht.

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