„Jestern war Johanni. Sie wissen ja, daß bei uns in Eestland Johanni ein großes Pidu ist, das größte vom ganzen Sommer. Unsere Perenaine kam mit ihrer Schwester, um mit uns zu feiern. Am Telephon sagte sie, wir wollten ordentlich schwuchten; aber wie soll man das, ohne das kleinste bißchen zum Anbieten? In unserer Schafferei steht kein Bierchen, kein Allasch, nicht mal Kwas. Meine Frau backte schnell ein paar Kohlpiroggen, – Speck haben wir ja nicht, – aber weil sie zwischendurch immer ihren dämlichen Dante las, verbrannten die Piroggen von unten. Strunt auch! Wir kratzten sie tüchtig ab und legten sie auf Erdbeerblätter. Ich kann Ihnen sagen: wunderhübsch!
Dann suchte ich Holz fürs Feuer, alte Äste, kaputte Kisten, Stroh und so dergleichen. Nicht viel, aber mit Liebe! Und dann kamen die beiden Damen anjeradelt. Sie zockelten durch den Straßenstaub, ehrlich jesagt, wie die Schuliken, mit Rucksäcken auf dem Rücken, und hinten, auf dem einen Rad, klapperte eine Ziehharmonika. […]
Und wissen Sie was aus den Rucksäcken der Damen herauskullerte? Für jeden ein Ei, Zucker, Seppikbrötchen und schließlich sogar eine Flasche Johannisbeer-Nawlika! Selbstjemacht, ich kann Ihnen sagen – wie ein Kuß!
Meine Frau kam anjelaufen und schrie schon von weitem: „Pfui wie nett, daß ihr jekommen seid! Das wird ein richtiges Jaanituli.“ Dann sah sie die Eier und den Zucker und schrie noch lauter: „Wai, es jiebt sogar Goggel-Moggel – wie lange hab ich das nicht mehr jejessen … Und deine Garmoschka hast du auch mitjebracht, pai Kullakene, nu da wollen wir aber alle tüchtig singen!“
Na, verstanden? Falls nicht, hier eine Übersetzungshilfe: Pidu ist Estnisch und heißt Fest, Perenaine ist die Gesindewirtin und schwuchten bedeutet feiern. Allasch ist ein Kümmellikör, Kwas ein russisches Getränk aus vergorenem Brot. Strunt auch! wird mit Einerlei! übersetzt, Schuliken meint Landstreicher. Seppikbrötchen sind Weizenschrotbrötchen und Nawlika ist Likör. Pai Kullakene heißt so viel wie Gutes Goldchen. Goggel-Moggel, das schönste Wort überhaupt, sind Eier mit viel Zucker geschlagen. Lecker. Und Jaanituli – das ist das Johannisfeuer.



Die Worte stehen so als Fußnoten unter dem Originaltext; der Text (hier nur ein Auszug) heißt „Fast wie zu Hause. Erinnerungen aus dem Sommer 1945“. Geschrieben hat ihn Else Hueck-Dehio, Schriftstellerin, gebürtige Dorpaterin, die Estland 1918 gen Deutschland verließ. Sie lebte erst in Berlin, später in Lüdenscheid, zuletzt in Murnau. Im Text erzählt sie die Geschichte einer Familie, die aus Estland floh – und nun Johanni feiert.
Die Zeit um den Johannistag, Jaanipäev auf Estnisch, wenn die Nächte nicht dunkel werden und die Tage unendlich scheinen. In Estland ist der 24. Juni ein offizieller Feiertag, 1919, im Unabhängigkeitskrieg, siegten estnische über deutsche Truppen.
Eigentlich aber ist der Johannistag, trotz christlichen Namens, ein jahrhundertealtes Fest der Natur. Jetzt beginnt der Sommer, beginnt die Heuernte und endet – ich finde: leider – die Rhabarbersaison. Die Feierei zum Johannistag kommt in Estland gleich nach Weihnachten, von der Wichtigkeit her. Überall brannten die Johannisfeuer, wurde gegrillt und sauniert. Dicke, rußige Luft legte sich abends wie ein Schleier über Tartu.
Geisterstimmung.
Dazu gibt’s die passenden Mythen: Wer wissen will, was die Zukunft bringt, soll sich in dieser Nacht neun verschiedene Blumen unters Kissen legen. Sieht man ein Glühwürmen, soll das Glück bringen. Und für Wohlstand, lese ich, müsse man übers Johannisfeuer springen – oder so hoch wie möglich schaukeln.
Korrektur: Kwas ist ein Getränk, ich hatte irrtümlich Gebäck gelesen (winzige Schrift und meine Augen, naja). Auf Estnisch heißt das Getränk Kali und ist eine Art Nostalgiegetränk, es kam vor knapp 25 Jahren wieder auf. Und das so schlagartig, dass im ersten Sommer die Verkaufszahlen von Coca-Cola deutlich sanken. Coca-Cola kaufte daraufhin dem estnischen Hersteller die Kwas-Marke „Linnuse kali“ ab. / Danke an Reet Bender für den Tipp!
Liebe Kathrin,
Ein sehr schöner und informativer Artikel von dem Johannifest.
Die Blumenkränze der 3 Frauen sind wunderschön.
Auch der Dialekt ist schön zu lesen!! 👌
Ihre Berichte sind sehr interessant,
Und man lernt viel über Estland.
Liebe Grüße S.