Johannes Gutenberg geht impfen

Am liebsten hängt der Chef vor dem Buchladen ab. Sein Lieblingsplatz: ein dunkelblauer, schon reichlich zerkratzter Sessel, auf dem ein grünes Kissen liegt. Karmen Otu streicht Johannes Gutenberg über den Kopf. Kein Event sei so leicht zu organisieren gewesen wie sein zehnter Geburtstag. Johannes ist der älteste Nutzer des Aparaaditehas – „unser Chef und Community-Manager“, sagt Karmen. Sie ist sowas wie seine Kollegin, zuständig fürs Marketing des Kreativzentrums. „Die beste Frage, um das Eis zu brechen, ist: Wer hat was von Johannes Gutenberg gehört?“, sagt Karmen und lacht, dass ihre Locken wackeln.

Der heimliche Chef vom Aparaaditehas ist ein schwarz-weißer Kater.

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Stadtschreiberin trifft Stadtschreiberin

Was macht eigentlich eine Stadtschreiberin? Ich schaue Maarja Pärtna an. Normalerweise muss ich diese Frage beantworten, endlich kann ich sie mal stellen. Meine Antwort reicht von Menschen treffen und Tartu entdecken über ein Erzählcafé veranstalten bis hin zu: meine Erlebnisse auf dem Blog dokumentieren. Ich bin immer auf der Suche nach Geschichten. Und Maarja?

Sie überlegt nicht lang. Tartu ist Stadt der Literatur, erzählt sie, Teil eines weltweiten Netzwerks kreativer Städte, ein Unesco-Projekt. Heidelberg gehört dazu, und Bremen, Vilnius und Odessa, Barcelona, Bagdad und Beirut. Gerade sei eine Autorin aus Reykjavik da, sagt Maarja, die sich um die Gast-Autorinnen kümmert, das Literaturfestival mitorganisiert und auch sonst alle Netzwerk-Veranstaltungen in Tartu in diesem Jahr koordiniert.

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Lilly und die Kunst

Es ist dann doch immer wieder erstaunlich, wie schnell wir Menschen uns an Neues gewöhnen. Ich meine vor allem Alltägliches. Die quietschende Eingangstür im Haus, mein täglicher Weg über den Domberg, Treppe rauf, Treppe runter, die ballernde Sonne. Vielleicht liegt es am Norden, aber 25 Grad fühlen sich hier irgendwie wärmer an als in Berlin.

Teufelsbrücke, Engelsbrücke, küssende Studenten. Das schiefe Haus.

Und das schiefe Haus steht wirklich verdammt schief. 5,8 Grad neigt es sich, wenn man vom Rathausplatz schaut, nach links. Das sind fast zwei Grad mehr als der Turm in Pisa! Trotzdem fällt es nach dreimal dran vorbeilaufen gar nicht mehr auf. Ist eben schief. Der Grund ist übrigens derselbe wie in Pisa: sumpfiger, weicher Boden. Tartus schiefes Haus wurde 1793 gebaut, eine Hälfte stützt sich auf die alte Stadtmauer, die andere auf Pfähle. Und dass die nicht gleichmäßig in den morastigen Untergrund einsinken, kann man hier sehen.

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Lieblingsbrot

Das Wichtigste ist, den Teig am Leben zu halten. Und so löffelt Marko Sooru erstmal 200 Gramm schleimig-beigen Rohteig in eine Plastikdose. „Starter“, nennt Marco, was in der Dose wackelt, macht einen Deckel drauf und stellt es in den Kühlschrank. Sauerteig lebt, und so sind diese paar Gramm jeden Tag Grundlage für neuen Teig, für neues Brot.

Vor mir schwimmt der große Rest des Rohteigs in einer silbernen Wanne. 200 Gramm Starterteig, vermengt mit Wasser und Mehl, gestern Abend schon. Ich stehe in der Backstube des Toome Kohvik. Von außen gänzlich unscheinbar liegt das Café unterhalb des Dombergs. Von drinnen schaut man auf Tennisplätze.

„Man mixt alle Zutaten, füllt den Teig in die Form, lässt ihn anderthalb bis zwei Stunden gehen, bäckt ihn“, fasst Marco zusammen, was mich gleich erwartet. Marko managt das Café, er ist studierter Forstwirt, der nach ein paar Jahren auf die Gastronomieschule wechselte, Fachmann für Backen und Braten wurde. Heute gibt er mir einen Crashkurs im Brotbacken.

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In den Stürmen der Welt

Vor dem Krieg war ich: Happy

Jetzt bin ich: trauriges Smiley

Zwei Pinnwände, zwei Satzanfänge, darunter Zettel, auf denen jede und jeder ergänzen kann, was sie oder er gerade fühlt. Vor dem Krieg habe ich in einer Bank gearbeitet, hat jemand geschrieben. Und daneben: Jetzt habe ich keinen Job, mache mir Sorgen um meine Familie in Kyjiw, habe Angst.

Plötzlich wird das Kulturhauptstadt-Motto brutal real. Arts of Survival, Überlebenskünste.

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Sprüche an der Wand

Mit jedem Stock wird die Treppe schmaler, knarzt das Holz ein bisschen mehr, bis ein dunkler, massiver Holzbalken neben mir aus der Wand ragt, breit und hoch wie mein Unterarm. Er kündet von dem, was hinter der Tür liegt, vor der ich jetzt stehe: der Dachboden der Universität Tartu. Tür auf, Tür zu, Dämmerlicht. Holzbalken, die das Dach tragen, ein Weg aus Brettern, noch eine Tür. Dahinter ein Raum. Zwei Minifenster, ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl, in der Ecke ein Plumpsklo. Der Raum gerade so groß, dass man darin herumtigern kann.

Die Wände sind mit Sprüchen und Bildern bekritzelt. Da steht zum Beispiel auf Deutsch: Ein Fehler ist im Schöpfungsplan, dass man im Schlaf nicht trinken kann.

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